By Katharina T. Kraus
Abstract:

Kants kritische Philosophie ist weithin dafür bekannt, die Rolle des Selbstbewusstseins für das menschliche Erkennen hervorzuheben. Die meisten Interpretationen beziehen sich dabei auf das begriffliche Bewusstsein von sich selbst als denkendes Subjekts, das nach Kant durch Apperzeption hervorgebracht wird. Weit weniger Beachtung findet dagegen Kants Theorie der inneren Erfahrung, die von der Möglichkeit sinnlicher Selbst-Erfahrbarkeit ausgeht und auf der Idee der Selbstaffektion beruht. Nach dieser Idee werden mentale Zustände, wie etwa Gedanken, Gefühle und Wünsche, zu Objekten der eigenen Anschauung, indem sich das Subjekt selbst sinnlich affiziert. Allerdings birgt die Idee der Selbstaffektion ein Paradox in sich: es wirft die Frage auf, inwiefern das Subjekt sich selbst überhaupt ein Objekt der Anschauung oder gar Gegenstand der Erfahrung werden kann. Dieser Artikel legt einen Lösungsvorschlag für dieses Paradox vor, indem er das komplexe Verhältnis von begrifflichem und sinnlichem Selbstbewusstsein untersucht und dabei drei Momente der Selbstkonstituierung unterscheidet: Apperzeption, Selbstaffektion und die Projektion eines zeitlich durchgängigen mentalen Ganzen aufgrund der Vernunftidee der Seele. Diese dreifache Unterscheidung bildet die Grundlage zu einem neuen Verständnis von Selbsterkenntnis bei Kant.

Published:
Berlin/Boston: De Gruyter, 2022

DOI:
doi.org/10.1515/9783110732603-025

Online available:
www.degruyter.com